Kurzgeschichte: Schattenkiste

von John Ryan am 04. September 2013

Die Energiestrahlen über der Tür verdichteten sich und versperrten Moto ein für alle Mal den Zugang zu seinem Labor. Er stand im strömenden Regen auf den Straßen von Rata Sum. In dem Wolkenbruch hing der Behälter mit seinen wenigen Habseligkeiten schlaff an ihm herunter. Nach zwei Jahren Zusammenarbeit passte alles, was ihm geblieben war, in diese eine Kiste. Er spürte, wie er im Regen erschauderte und zusammenschrumpfte, ganz so, als würde er gleich in einen Gully gleiten und auf immer verschwinden.

Ein Friedensstifter-Golem auf Patrouille durchdrang seinen Schock. „DER-AUFENTHALT-IN-DIESEM-BEREICH-IST-UNTERSAGT. GEHT-WEITER.“

Moto ließ die Schultern hängen. „Aber ich kann nirgendwo hin.“ Er irrte durch Rata Sum, das so lautlos war wie ein verbrauchter Kraftkristall bei Nacht, mit nichts weiter zu tun als darüber nachzusinnen, dass er kein Labor, kein Geld und keine Erfindung hatte. Außer seinen Habseligkeiten und dem Traum von einer Erfindung, die beeindruckend und heroisch, spektakulär und magisch war, war ihm nichts geblieben.

Und das war etwas, bei dem seine Kru einfach nicht in der Lage gewesen war, ihn zu unterstützen.

Verzweiflung ergriff Besitz von ihm, verstärkt von dem Knurren in seinem Magen. Beim Studentenheim des Kollegs der Dynamik fand er Ekkos Fischstand. Im Aquarium schwamm Ekkos Spezialität: Fische, die von dem phosphoreszierenden Futter, das er ihnen gab, leuchteten. Moto bestellte einen Fischspieß, stellte jedoch fest, dass ihm das nötige Kleingeld zum Bezahlen fehlte.

Sad Moto 1

Moto seufzte und nahm das goldene Armband ab, das sie – nun eine ehemalige Krukameradin – ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Er reichte es Ekko, der es entgegennahm, in die Mülltonne warf und Moto einen abgenagten leeren Spieß überreichte.

Moto stahl sich davon und versuchte, Ekkos Gelächter zu ignorieren.


Zwischen ausgiebigem Klingeln hämmerte Moto an die Tür.

Durch die Gegensprechanlage ertönte eine Stimme so einladend wie ein Fausthieb. „Was denn?“

„Lortt, ich bin’s, Moto. Wir haben uns letzten Monat auf der Party für „Wein-und-Wohltäter des Arkanen Rats unterhalten. Ihr habt den Prototypen unseres Edutainment-Geräts, der Adventure Box, finanziert.“

„Zudem habe ich auch ein hochmodernes Sicherheitssystem finanziert, das ich gleich aktivieren werde. Ich werde einen Plasmastrahl durch Euren Schädel jagen.“

„Ich benötige finanzielle Unterstützung.“

Lab 2

Er vernahm ein Seufzen. „Also gut. Um welches Projekt geht es?“

„Äh…“, stammelte Moto. Normalerweise führte er seine Verkaufspräsentationen mit Investoren in einem komfortablen Ambiente, wo es nicht regnete, dafür aber der Alkohol in Strömen floss.

„Ich verstehe. Ihr wollt nicht darüber sprechen, für den Fall, dass Euch jemand zuhört. Ich werde in Euer Labor kommen, ja?“

„Äh, momentan habe ich keins.“

„Ihr habt also weder einen Prototyp noch ein Labor, seid aber trotzdem mit der Bitte um Finanzierung zu mir gekommen?“

„Ja.“

„Weckt mich noch einmal auf, und ich hetze meinen großen, hungrigen Draken auf Euch.“

Die Gegensprechanlage klickte und verstummte.


Einige Wochen später verkroch sich Moto in einem Behelfslabor, das er sich in den Duschen des Dynamik-Studentenwohnheims eingerichtet hatte. Das Wohnheim war geräumt worden, nachdem die Haut von mehreren Studenten nach dem Duschen zu leuchten begonnen hatte. Die Dynamik-Techniker waren ratlos gewesen … bis ein anonymer Tipp sie zu Ekkos Fischstand gewiesen hatte. Als Ekko von Friedensstiftern abgeführt wurde, behauptet er, jemand hätte sein Leuchtfutter gestohlen.

So ein Pech aber auch, dachte sich Moto, während er an einem weiteren Energietrank schlürfte. Er hatte nur noch wenige Stunden und spürte, wie ihm die Zeit entglitt. Er hatte Lortt einen funktionierenden Prototyp in einem Monat versprochen. Zu der Zeit hatte das wie ein weit entfernter Meilenstein geklungen, doch mittlerweile fühlte er sich davon wie von einem Raubtier gehetzt.

Lab 1

Energietränke hielten ihn nicht mehr länger auf den Beinen, also beschwor Moto ungezähmte Gefühle herauf, um weiterzuarbeiten. Das Gehäuse wurde von Angst zusammengefügt. Stolz verflocht die Kraftkristalle mit der Architektur. Er stellte sich seine alte Kru vor und wie sie – wenn er erst berühmt war – bereuen würde, dass sie ihn rausgeworfen hatte. Die Wut darüber trieb Moto dabei an, die Programmierung der Charaktere abzuschließen.

Und ehe er sich dessen gewahr war, hatte sich der Prototyp in einen makellosen Apparat verwandelt. Moto bestaunte seine Schöpfung und lächelte. Doch dann übermannte ihn die Erschöpfung. Nur ein Nickerchen, sinnierte er. Und dann werde ich ihn testen.


Laute Rufe weckten Moto auf. „Moto! Sagt bloß nicht, dass Ihr mich auf meinen eigenen Termin warten lasst.“

„Verfunkt und zugenäht. Lortt!“ Mühsam rappelte sich Moto hoch. Er hatte nur einen Gedanken: Ich habe den Prototypen nicht getestet. Lortt würde dabei zusehen, wie Motos Prototyp stotterte und versagte, davonlaufen und sein Gold mitnehmen.

Er konnte Lortt aber nicht länger warten lassen. Resigniert öffnete Moto die Tür.

Lortt, der wie ein Stück Dörrobst in einer Robe aussah, hielt eine Leine in der Hand, an deren anderem Ende sich ein gewaltiger roter Drake befand.

„Darf ich vorstellen? Butterblume.“ Lortt betrat das Duschlabor. „Ihr habt einen Versuch. Beeindruckt mich. Das ist er also?“

Lortt studierte den Würfel auf dem Tisch eingehend. „Was kann er denn?“ Während Moto nach einer Entschuldigung suchte, aktivierte Lortt den Kraftkristall des Würfels.

„Also, ich …“, setzte Moto an, wurde jedoch unterbrochen.

Der Raum, der aus Kacheln und Metall bestand, hatte sich komplett verwandelt. Angedeutetes blockartiges grünes Gras spross aus dem Boden und die Decke war in einem satten Blau mit lächelnden weißen Wölkchen angemalt. Auf dem Boden sprossen Blumen aus dem Gras und Baumreihen ragten in stummer Pracht daraus hervor.

Moto Smug 1

Es war einwandfrei. Die Grafik ruckelte nicht und war bezaubernd, die skurrilen Geräusche wurden in der richtigen Lautstärke und zum passenden Moment abgespielt und die Kreaturen durchstreiften das simulierte Grün in den vorgesehenen Mustern.

In der Ferne erschien ein hübsches blondes Mädchen. Sie winkte Moto energisch zu. Er war sich nicht bewusst, die Charaktere ausgefeilt zu haben, doch das Modell der Prinzessin war vollkommen und erinnerte Moto außerdem an sie.

„Es ist im höchsten Grade immersiv“, stammelte Lortt, der Mühe hatte, das Ganze zu erfassen. „Wie habt Ihr …“

Moto spürte, wie sich seine Worte überschlugen. „Etwas sechsdimensionale Mathematik, ein bisschen fortgeschrittene Magiskopie.“

„Ich bin ganz Ohr“, flüsterte Lortt. „Was sonst noch?“

Moto starrte die Prinzessin an. „Ihr bereist weit entfernte Länder, kämpft gegen Monster und rettet die Prinzessin vor dem bösen Gebieter.“

„Märchen der Menschen an die Bookah verkaufen? Clever. Und wie steht es mit den Norn und den Charr?“

„Ich werde einfach behaupten, es wäre zu kompliziert für sie. Das wird sie beleidigen, und dann werden sie natürlich auch spielen wollen.“

Lortt lachte heiser. „Und wie nennt Ihr diesen Verkaufsschlager, mein junges Genie?“

Moto zuckte mit den Achseln. „Super Adventure Box.“

Die Prinzessin lächelte und winkte Moto zu.

Moto hob den Arm, um zurückzuwinken, hielt aber inne, als er hinter ihr einen unheilvollen Schatten entdeckte, der seine eigene Form hatte. Er blinzelte, und dann war der Schatten verschwunden.