Kurzgeschichte: Die Delegation

von Scott McGough am 08. August 2013

In der Schwarzen Zitadelle lief Frostbeißer immer etwas selbstbewusster. Rox war sich nicht sicher, ob es die Aura von Stärke und Selbstvertrauen war, die von den Soldaten der Hoch-Legionen ausging, die sich beschwingend auf ihren Albino-Verschlinger auswirkte oder ob er sich eingeschüchtert fühlte und nur so tat, als ob, damit er nicht auffiel.

Jedenfalls war sie froh, dass zumindest einer von ihnen furchtlos wirkte. Tribun Brimstone hatte sie wieder einmal persönlich in seine Dienststube zitiert. Und wieder einmal war die Konsequenz eine ausgedehnte Attacke stiller Panik. In einer Stadt voller furchterregender Autoritätsfiguren war Rytlock Brimstone eine Klasse für sich: berüchtigt für seine Reizbarkeit, schwer zufriedenzustellen … und alles, was Rox wollte, hing davon ab, ob es ihr gelang, ihn zu beeindrucken.

Sie hatte alle nur erdenklichen Vorkehrungen getroffen: Als sie aufgewacht war, hatte sie Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis geformt und drei Mal durchgespuckt. Sie hatte ihre neuesten Stiefel angezogen und war rückwärts aus der Kaserne gelaufen, um alles Pech, das ihr möglicherweise folgte, zu verwirren. Sie trug ihre beiden erfolgreichsten Glücksbringer (den ersten Eisenerzklumpen, den sie geschürft hatte und den simplen Soldatenring aus Stahl, den Primus Drillbit ihr zum Abschluß des Fahrar gegeben hatte) an einer Kette um den Hals. Sie hoffte, all dies würde ausreichen, um das Glück zu ihren Gunsten zu wenden und ihre Verdienste für sich selbst sprechen lassen.

Citadel-2

„Na komm schon, Junge“, sagte sie zu Frostbeißer. „Der Tribun erwartet uns.“

Der Verschlinger zwitscherte begeistert und lief an Rox’ Seite, als sie den Kern betraten und den runden Steg zur zweiten Etage der großen Metallkugel emporstiegen.  Laria, Rytlocks Adjutantin, verließ gerade ihre Dienststube.

„Ist er da?“, fragte Rox.

Laria nickte. „Aber er ist schlechter Laune. Seht Euch vor.“ Sie bedachte Frostbeißer mit einem Blick. „Und seid mit ihm ebenfalls vorsichtig. Ich putze nie wieder Verschlingerdreck weg.“

Als Laria davonhastete, knurrte Frostbeißer leise und seine beiden Stacheln zuckten.

„Gib ihr nicht die Schuld“, maßregelte Rox. „Schließlich warst du derjenige, der ihr auf die Stiefel gepinkelt hat.“

„Rox!“ Rytlocks Stimme schallte aus seiner Dienststube. „Komm her.“

Rox’ Hände fuhren vom Erz zum Ring, abwechselnd beide berührend, um zu prüfen, ob sie noch da waren. „Bei Fuß, Frostbeißer“, schnappte sie. „Und benimm dich. Ich meine es ernst.“

Rytlock stand hinter seinem Schreibtisch. Laria hatte recht gehabt: Der Blick des Tribuns war gierig, seine Zähne zusammengebissen und seine Nackenhaare gesträubt. Als Rox sich ihm näherte, zog er ein Blatt Papier aus einem Stapel vor ihm und rollte es wütend zusammen.

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„Tribun.“

„Rühren.“ Rytlock zeigte mit der mittlerweile zerknüllten Papierrolle auf Frostbeißer. „Und dieses Ding da ist mittlerweile hoffentlich stubenrein.“

„Das ist er, Sir. Ich möchte mich nochmals dafür entschuldigen. Er dachte, Laria hätte mich herausgefordert, also …“

„Wie auch immer“, antwortete Rytlock. „Was wisst Ihr über die Königin der Menschen?“

„Nicht viel. Sie unterstützt das Friedensabkommen, hat aber Schwierigkeiten dabei, den Rest von Kryta für ihre Sache zu gewinnen.“

„Sie gibt eine Party“, sagte Rytlock. Er reichte Rox das zerknitterte Stück Papier. „Zum zehnten Jahrtag ihrer Krönung. Sie kündigen es als eine ‚Feier des Widerstands der Menschen‘ oder so etwas in der Art an.“

Rox meinte mit neutraler Stimme: „Klingt … amüsant.“

„Freut mich, dass Ihr das glaubt. Ich bin eingeladen, doch ich habe richtige, echte Arbeit zu erledigen. Ich würde mir eher selbst die Zähne ziehen als an noch solch einer offiziellen Veranstaltung teilzunehmen. Rytlock lächelte verschlagen. „Glückwunsch. Ich nominiere Euch als meinen Ersatz. Ihr seid jetzt die offizielle Abgesandte der Zitadelle zu diesem wichtigen Ereignis.“

Benommen griff Rox nach dem Stück Papier. „Ich … äh… vielen Dank?“

Rytlock lachte. „Das ist keine Beförderung sondern ein Auftrag. Wenn auch ein wichtiger. Egal, was die Königin damit zu erreichen versucht, wir brauchen jemanden dort, der unsere Interessen wahrt. Lächelt höflich, verärgert die anderen Würdenträger nicht und lenkt die Unterhaltung von diesem Abkommen ab, wann immer Ihr könnt. Das Letzte, was wir brauchen können, ist dass dieser Unsinn sich auf die Friedensverhandlungen auswirkt.“

Rox beschloss, sich beherzt zu geben. „Wird erledigt, Tribun. Dürfte ich aber darum bitten …“

„Das hat keinerlei Auswirkungen darauf, ob Ihr in einen Trupp aufgenommen werdet.“ Rox machte ein langes Gesicht und Rytlock fuhr sie bissig an: „Das darf doch nicht wahr sein! An etwas anderes könnt Ihr einfach nicht denken, stimmt’s?“

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„Tut mir leid, Tribun.“

„Ich wette, Ihr habt den ganzen Morgen durch die Finger gespuckt und Eure Ausrüstung mit Glücksbringern beladen. Habe ich recht?“

„Ja, Tribun.“

„Manche Dinge ändern sich nie.“ Rytlocks strenger Ton wurde sachlicher. „Es gibt noch einen Grund, weshalb ich möchte, dass Ihr statt meiner geht“, meinte er. „Logan Thackeray wird dort sein. Und immer, wenn Logan und die Königin zusammentreffen, wird es … ärgerlich. Und dafür fehlt mir momentan die Geduld.“

Momentan? Ihr meint immer, dachte Rox. Sie antwortete aber schlicht mit „Jawohl, Tribun.“

„Hier ist die Einladung. Besprecht die Einzelheiten Eurer Reise mit Laria. Sie wird Jennahs Leuten die Angelegenheit erklären und dafür sorgen, dass man Euch erwartet.“

Rox zögerte. „Darf ich Frostbeißer mitnehmen?“

„Solange Ihr Euch unauffällig verhaltet und keine Kriege auslöst oder Paläste in Brand steckt, könnt Ihr mitnehmen, wen Ihr wollt. Von mir aus sogar eine Verschlingerkönigin.“

Rox kam ein Gedanke. „Sind Norn denn zugelassen?“

Rytlock knurrte argwöhnisch. „Wen hattet Ihr denn im Sinn? Diesen kleinen Spinner, mit dem Ihr herumlauft?“

„Sein Name ist Braham, Tribun.“

Rytlock schnaubte. „Ich sagte ‚bringt, wen Ihr wollt‘, Soldat. Ist irgendetwas an diesem Konzept unklar?“

„Nein, Tribun.“

„Gut. Ihr habt Eure Befehle. Führt sie aus, wie sie ausgeführt werden müssen, und wir werden vielleicht Eure potenzielle Zukunft beim Stone-Trupp besprechen.

Rox konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, konnte jedoch den Reflex, ihre Glücksbringer zu berühren, gerade noch unterdrücken. „Danke, Tribun.“ Frostbeißer schnurrte seine Zustimmung.

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„Hört Euch um. Es mag Euch vielleicht belanglos erscheinen, wenn die Schwarze Zitadelle jedoch nachher übler dasteht als vorher, werdet Ihr den Imperiale Schmelzkessel mit einem Kaffeelöffel umrühren.“

„Verstanden. Keine Sorge, Sir. Ihr werdet stolz auf mich sein.“

„Und lächelt gefälligst nicht, wenn ich Euch drohe. Lächelt, wenn Ihr den Auftrag erledigt habt. Wegtreten.“

„Sir.“ Rox salutierte und machte auf dem Absatz kehrt, ungeduldig, zu verschwinden, ehe Rytlock es sich anders überlegte.

Frostbeißer fixierte den Tribun jedoch nach wie vor, und sie sah, wie sich die Beine des Verschlingers anspannten, so als würde er jeden Augenblick spielerisch auf Rytlocks Schreibtisch springen. „Na los, Junge“, stupste sie ihren Begleiter mit einer gestiefelten Fußspitze an.

Rox und Frostbeißer verzogen sich aus der Dienststube. Es gab viel zu tun: mit Laria sprechen, sich auf die Reise nach Götterfels vorbereiten und Brahman einen Vogel zu senden, damit er zum Aufbruch bereit war.

Sie bedachte Frostbeißer mit einem Blick. „Willst du auf eine Party mitkommen, Junge? Wir sind Würdenträger. Und wir sind dem Stone-Trupp einen Schritt näher.“

Frostbeißer zwitscherte fröhlich.

Rox berührte ihre Glücksbringer noch einmal und lächelte. Ihre Totems hatten eindeutig dabei geholfen, dass die Besprechung mit Rytlock glatt verlaufen war. Im Vergleich dazu würde die Party der Königin ein Kinderspiel sein. Sie musste nichts weiter als Braham abholen, rechtzeitig in der Hauptstadt von Kryta eintreffen und der Schwarzen Zitadelle keine Schande machen.

Was konnte dabei schon schieflaufen?