Kurzgeschichte: Evon Schlitzklinge geht von Bord

von Angel McCoy am 26. Juli 2013

Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern seines Trupps stand Evon Schlitzklinge vor Legionärin Aria Schlitzfang stramm. Ein unbehagliches Schweigen hing zwischen ihm und seiner Vorgesetzten in der Luft.

„Warum habt Ihr nicht getan, was ich Euch aufgetragen habe, Soldat?“, knurrte Schlitzfang. „Ihr habt meine Befehle doch verstanden, oder?“ Sie kam Evon immer näher, Schnauze an Schnauze, bis sie schließlich dieselbe Luft atmeten.

Es war erstickend. Evon hob seine Schnauze an. „Darf ich offen sprechen, Sir?“

„Wenn es wichtig ist. Spuckt schon aus, was Euch auf der Leber liegt.“

Evon spürte, wie die anderen Mitglieder seines Trupps von ihm wichen. Er fühlte sich ihnen überlegen; ihr Rückzug war feige und bestärkte ihn in seiner Überzeugung, die sich über die vergangenen Tage hinweg, seit er zum ersten Mal die Befehle seines Legionärs gehört hatte, in ihm verhärtet hatte.

In den zwanzig Jahren seit seiner Geburt war Evon ein guter Soldat gewesen. Er hatte sich beim Fahrar hervorgetan, die Aufmerksamkeit der angesehensten Offiziere der Asche-Legion erregt und nicht einen einzigen Befehl hinterfragt – bis zu diesem Moment. Er wählte seine Worte mit Bedacht.

„Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Ansatz zum gewünschten Ergebnis führen wird, Legionär.“

Schlitzfang fletschte die Zähne. „Ihr seid Euch nicht sicher? Dann lasst mich Euch versichern. Wenn nicht, wird Euch meine Klinge suchen kommen. Kapiert Ihr, was ich sage?“

„Sir“, setzte Evon noch einmal an, und sprach schnell, bevor Schlitzfang ihn niederschlagen konnte. „Die Bewohner von Löwenstein werden nicht auf Drohungen reagieren. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie etwas für ihre Investition bekommen. Das sind keine dummen Bauern. Sie stammen von Piraten ab, sind jetzt aber eine Gemeinschaft. Handel und Gewitztheit bedeuten ihnen viel. Eure Einschüchterungsstrategie ist nicht vertretbar. Das ist nicht der Weg der Asche-Legion.“ Er war außer Atem geraten und musste tief Luft holen.

Einer von Schlitzfangs  Mundwinkeln zuckte nach oben und ein langer weißer Reißzahn wurde sichtbar. „Ach, sie werden auf jeden Fall Schutzgelder bezahlen. Sonst sorgen wir dafür, dass sie sich wünschen, sie hätten bezahlt. Geht mir aus den Augen, bevor ich es mir anders überlege und bereue, dass ich Euer Leben verschont habe.“

Die Möglichkeiten schossen in Evons Gedanken wild durcheinander und kollidierten. Ihm standen mehrere davon zur Verfügung, doch eine kam ihm nie in den Sinn: Zweifel. Er entschied sich für eine Vorgehensweise.

Aria-2

Evon schnaubte zornig: „Ich kann nicht zulassen, dass Ihr diesen Weg verfolgt. Ich werde Euch nicht beim Erpressen der Bewohner von Löwenstein unterstützen. Das hilft uns nicht dabei, hier Fuß zu fassen.“ Während er sprach, pochte seine Halsschlagader. Seine Arme entspannten sich und seine Hand berührte den Knauf seines Dolches. Seine Wahrnehmung weitete sich im gleichen Maße wie sein Gesichtsfeld.

Schlitzfang nahm die Beleidigung nicht ohne Widerspruch hin. Durch zusammengebissene Zähne knurrte sie: „Mir egal, was Ihr denkt, Wurmkot. Ihr habt den Trupp gerade verlassen – für immer.“

Mit einer ausladenden Geste zog Schlitzfang ihr Schwert und schwang es in die Richtung von Evons Kopf.

Dieser war jedoch schneller.

Mit einem behänden Doppelschritt war er in der Reichweite seines Legionärs, um den Schwertschwung zu blockieren. Mit seiner freien Hand klammerte er sich an Schlitzfangs Hörnern fest, zog sie nach unten und tat einen Schritt zurück, indem er sein Gewicht verlagerte. Dann trieb er seinen Dolch tief in Schlitzfangs Hals, bis er an ihrem Rückgrat wieder heraustrat.

Das Klirren ihres Schwertes, das auf den Steinboden fiel, ließ den Schlitz-Trupp aus seinem Schock erwachen und sie eilten herbei, um Evon von ihrem Legionär wegzuzerren.

Evon trat zurück und sah zu, wie sie Schlitzfang auf den Boden senkten. Ihm war vollkommen klar, dass sie sie nicht retten konnten. Er wartete, während Blut von der Klinge seines Dolches auf seine Hand tropfte.

Als sich die anderen ihm endlich zuwandten, wich er nicht von der Stelle.

„Jetzt bin ich Legionär“, meinte er. „Tut, was ich sage oder gesellt euch in den Nebeln zu Schlitzfang. Einwände?“

Nicht alle Mitglieder des Trupps schüttelten ihre Köpfe, doch keines widersprach.

„Gut. Sorgt dafür, dass sie heute Abend ehrenvollen eingeäschert wird. Morgen richten wir die Schwarzlöwen-Handelsgesellschaft ein – und zwar richtig.“

Der Trupp hob Schlitzfangs Leichnam hoch und trug ihn davon. Evon bewegte sich erst, als sie nicht mehr da waren, um mit anzusehen, wie er langsam an der Wand entlang zu Boden sank. Er konzentrierte sich auf seine Atmung. Hätte Schlitzfang ihn nicht unterschätzt, wäre er jetzt tot. Das Risiko, das er eingegangen war, hatte sich aber gelohnt. Die Schwarzlöwen-Handelsgesellschaft gehörte ihm.

Team-Gnashblade